Der Stuhl

Allgemeine Eigenschaften

Der kretische Stuhl hat folgende Eigenschaften:

1. die am Vorderteil halbrunde Sitzfläche, die ziemlich viel über die geflochtene Fläche hinaus vorsteht.

2. das ungewöhnliche Endstück der hinteren Stuhlbeine

3. die meist aus zwei Leisten bestehende, horizontal verlaufende, verzierte Rückenlehne.

4. die acht Stütz-Bolzen

5. die geflochtene Sitzfläche

Die Maβe sind, mit wenigen Abweichungen, auf ganz Kreta dieselben:

* 39-41 cm Breite mal 39-42 cm Länge der Sitzfläche

* Höhe der Sitzfläche 37-40 cm

* Höhe der Rückenlehne ca. 90 cm

* Neigung der Rückenlehne: 12 cm vom oberen Ende bis zur Sitzfläche

* Beine 4×4 cm

Die Stühle werden aus verschiedenen Holzarten wie Nussbaum-, Maulbeerbaum-, seltener aus Zypressenholz hergestellt. Die Möbel werden weder gestrichen noch gebeizt. Mit der Zeit nimmt das Holz des Maulbeerbaums, das wegen seiner Strapazierfähigkeit vorgezogen wird, eine dunkelbraune Farbe an, was das Möbel attraktiver macht. Alle Möbelteile werden mittels Bolzen und Leim zusammengehalten.

 

Verschiedene Verzierungen

Die Kategorisierung des Stils des kretischen Stuhls, was die teilweise Verzierung desselben anbelangt, ist ein schwieriges Verfahren, da die gefundenen Stühle einer Zeit angehören, zu der die Tradition nicht gepflegt wurde. Zudem wurden die meisten Stücke von ungeschulten Leuten angefertigt. Somit fehlten also die Voraussetzungen zur Herstellung eines herkömmlichen Möbels.

Aus diesem Grund wählten wir folgende Stücke aus:

* Die auf ganz Kreta üblichen Möbel

* Die in Griechenland auf Bildern oder Wandmalereien vorkommenden Möbel usw. vom 12.-16. Jahrhundert

* Ungewöhnliche Möbel mit offenbar symbolischen Funktionen.

Der obere Teil der hinteren Stuhlbeine

Die symbolische Form des doppelten Adlerkopfes

Das bekannte Symbol (oder heute bekanntes “LOGO”) des Römischen Reiches, dessen Schisma ins westliche und östliche Reich im 4. Jahrhundert n.Chr. erfolgte, war der doppelte Adlerkopf. Mit der Zeit wurde dieses Symbol ausschlieβlich vom östlichen Reich, also vom Byzanz benutzt. In späteren Jahren (10.-12. Jahrh.) übernahmen es sogar bulgarische und südslawische Völkerstämme. Vom 17. Jahrhundert an eigneten sich die Russen dasselbe Symbol an.

Die byzantinischen Herrscherfamilien die sich im 11. Jahrhundert in Kreta niederlieβen, brachten auch ihre Landessymbole mit. Unter ihnen spielte der zweiköpfige Adler die wichtigste Rolle.

Sein Ausdruck bei den besseren Möbelstücken, ob Stuhl oder Sessel, kommt durch die symbolische Form des Vogelkopfes mit seinem abgerundeten Schnabel am oberen Ende der geraden Rückenlehne voll zur Geltung. Dieser Ausdruck wird noch intensiviert durch die geschnitzten Flügel an der “Pyramide” der Rückenlehne, welche nur auf Kreta vorkommen.

Die Raute

Geschnitzte Rauten mit senkrechten Kerben kommen eher selten vor, wurden aber auf Bildern von byzantinischen Möbeln gefunden.

Diese Verzierung ist für uns Beweis dafür, dass die kretischen Möbel ihren Ursprung im Byzanz haben.

Die Pyramide

Einige aufrechte Stuhllehnen weisen in ihrem pyramidenähnlichen Ende eine hutförmige Protuberanz auf, wie sie schon auf byzantinischen Bildern auftreten.

Die Verzierung Der Vorderen Stuhlbeine Und Des Oberen Teils Der Hinteren Stuhlbeine

Fingernagelform, mit einem runden Schnitzmesser eingekerbt.

Diese Verzierung tritt häufig an den Vorderseiten, seltener an der Auβenseite auf und erinnert an Vogelfedern, also Adlerfedern.

Doppelrinnen

Sie werden mit einem runden Schnitzmesser oder mit einem speziellen Hobel gemacht. Ist mit gröβter Wahrscheinlichkeit eine neuere Verzierung, wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert.

Stempelverzierungen

Die gedruckten runden Formen treten hauptsächlich bei kretischen Möbeln und groβen Gefäβen wie dem Pithos auf. Der Künstler fertigt ein mit verschiedenen Einschnitten versehenes Metallrohr an, mit dem er anschlieβend auf die gewünschten Stellen im Holz schlägt. Das gezahnte Rohr hinterlässt ein margaritenähnliches Rondell.

Geritzte Verzierungen

Kommen selten vor. Sie werden mit einem scharfen Messer angebracht und stellen immer geometrische Figuren dar.

Schnurförmige Holzschnitzereien

Werden nur selten angetroffen. Die Ausführung dieser Kunst verlangt technisches Wissen. Tritt in Kombination mit reicher Schnitzerei auf, wobei die schnurförmigen Verzierungen in den Ecken angebracht werden.

 

Die Rückenlehne Und Ihre Verzierungen

Doppelte, horizontal verlaufende, rechteckige Leisten

Die Rückenlehne besteht normalerweise aus zwei horizontal verlaufenden, rechteckigen Leisten, die in ihrer Mitte eine Lücke aufweisen, die ungefähr so breit ist wie die Leisten selber. Die längere Leiste wird unmittelbar unter dem verzierten Endstück an den hinteren Beinen angebracht, die oben zwischen 10 und 13 Zentimetern hervorstehen, was dem Stuhl eine “herrschaftliche” Note verleiht. Nur selten treffen wir Stühle mit drei Rückenleisten an, die allerdings im 20. Jahrhundert entstanden.

Die dreieckigen Endleisten

Ungefähr bei 30% der kretischen Stühle laufen die oberen Leisten offen auf ein Dreieck aus, eine Verzierung, die die priesterliche Form noch betont. Diese Form trat zusätzlich bei allen Fensterstürzen in der kretischen Architektur von Mitte des 16. Jahrhundert bis Mitte des 18. Jahrhunderts auf. Der Einfluss aus der venezianischen Periode ist möglich, wie das auch in andern Teilen Griechenlands aus jener Periode der Fall ist, wie auf den Ionischen Inseln und im Ägäischen Meer.

Doppelte, horizontal verlaufende, sich berührende Leisten mit Lochmuster

Diese Verzierung ist häufig zu sehen und ist sehr einfach in seiner Ausführung, doch mit reizendem Resultat.

Wurde von den Schreinern hauptsächlich im 19.-20. Jahrhundert als eine Modernisierung angesehen.

 

Rückenlehne Ganz Abgedeckt Mit Leisten

Diese Ausführung wird nur selten gesehen und ist eine Erscheinung der neueren Jahre. Wurde bei der Renovation alter Stühle gemacht.

Rückenlehne mit gedrechselten, parallel verlaufenden Stäben oder verzierten Latten

Die Dreichseltechnik wurde im 19. Jahrhundert mit neuerem Stil eingeführt.

Die Verzierung der Rückenlehne

Die Verzierung, ob geschnitzt oder geritzt, kommt entweder auf einer oder aber auf beiden Leisten der Rückenlehne vor. Es gibt drei herkömmliche Muster die wir auf Kreta entweder an Möbeln oder an Türrahmen (Steinmeisseleien) antreffen:

Hier sei angeführt, dass diese Verzierungen aus dem Altertum stammen, wo wir sie an Marmortempeln und anderen öffentlichen Gebäuden antreffen. Diese Verzierungen wurden während Jahrhunderten ohne jegliche Veränderung weitergeleitet. Von speziellem Interesse ist die Tatsache dass dieselben Verzierungen auch bei den traditionellen Möbeln zum Beispiel der Basken oder in der Bretagne anzutreffen sind.

Geschriebene Texte

Eine kleine Anzahl von Möbelstücken weisen geschnitzte oder geritzte Texte an der Hinterseite der Rückenlehne auf. Anfangs bestanden die Texte aus Namen, Vornamen und Daten, Namen der Hersteller, Dörfer usw. Die wichtigste Information ist natürlich das Herstelldatum, das leider nur selten aufgezeichnet wurde.

Geschichtliche Beweisstücke – Schlussfolgerungen

Der kretische Stuhl hat eine Eigenheit im Vergleich zu der herkömmlichen Form, wie man sie im übrigen Griechenland findet. Da gibt es allerdings eine Ausnahme, die wir später behandeln werden.

Das eindrücklichste Detail ist wohl der pyramidenförmige Oberteil der Rückenlehne, wie das bei 90% der Stühle oder Sessel auf Kreta zu beobachten ist. Die symbolische Form der einfach ausgeführten Adlerköpfe wie auch andere Verzierungen können nur als Symbole des byzantinischen Reiches angesehen werden. Da jeder Kontakt zwischen Kreta und dem Byzanz nach 1205 unterbrochen wurde nehmen wir mit Sicherheit an, dass dieses Motiv den byzantinischen Herrscherfamilien, die von 1070 bis 1120 auf Kreta lebten, gewidmet waren.

Ein weiterer Zufall liefert uns Skyros, eine kleine Sporadische Inseln im Nordwesten der Ägäis. Auf diese Insel wurden jeweils die unerwünschten Kaiser des Byzanz, zusammen mit ihrem ganzen Hof, verbannt. Die Verzierungen ihrer Stühle und Sessel haben sehr viel Ähnliches mit den kretischen Stühlen, eine Tatsache, die die Ansicht der byzantinischen Herkunft verstärkt.

Schlieβlich werden wir auch Beispiele der venezianischen Periode aufzeichnen. Stühle und Sessel aus der Zeit vor dem Mittelalter, die aber viele byzantinische Verzierungen aufweisen, hauptsächlich am oberen Teil der Rückenlehne, ähnlich wie in Kreta. Wenn wir in Betracht ziehen, dass die Venezianer vor 1205 dem Byzanz unterlagen und regen Handel mit ihm trieben, ist der kulturelle Austausch eine gegebene Tatsache. So ist es auch verständlich, dass sich durch diesen Einfluss einheitliche Formen entwickelten.

Hier muss noch angeführt werden, dass anfangs des 10. Jahrhunderts die Schreinerei in den westlichen Ländern auf sehr primitivem Niveau gehandhabt wurde. Auf diesem Gebiet waren die Venezianer die ersten, die eine verfeinerte Kultur in Westeuropa einführten.

In der vorliegenden Studie werden auf Grund der fehlenden Finanzen weder die vorhandene Bibliografie noch Museumsexponate voll ausgeschöpft. Wir hoffen aber, dass die uns zur Verfügung stehenden Beweisstücke genügen, um eine traditionelle Kultur aufzuzeigen, bei der das Byzanz seinen deutlichen Stempel hinterlassen hat.