Der Sessel
Allgemeine Eigenschaften
Der Sessel verleiht Rang. Deshalb benutzt ihn in Kreta nur der Herr des Hauses oder ein werter Gast. Dieser Brauch beruht sicher auf der Tatsache, dass der Sessel einem königlichen Thron ähnlich sieht. Etymologisch gesehen ist das auch so, denn “Sessel” auf Griechisch heiβt “πολυθρόνα», was das Wort Thron beinhaltet. Also schon der Name führt uns weit in die Vergangenheit zurück, als die Römer mit ihren zahlreichen höheren Beamten die Insel beherrschten.
Während der türkischen Herrschaft war der Sessel auf Grund seiner hohen Kosten ein selten gesehenes Möbelstück, denn es wurde von ausgebildeten Schreinern hergestellt. Ein weiterer Faktor war, dass es in jeder Familie höchstens einen Sessel gab.
Zur Herstellung der Sessel wurden die gleichen Hölzer gebraucht wie auch für die Stühle. Worin sich die beiden allerdings unterscheiden ist die Qualität in der Ausführung, da der Sessel schlieβlich ein Möbelstück war, das traditionell bei religiösen Ritualen benutzt wurde.
Der Sessel ist allgemein breiter und höher als der Stuhl und weist folgende Maβe auf:
* Höhe der Rückenlehne : 90 cm
* Höhe der Armlehnen : 65 cm, Länge 50-70 cm
* Höhe der Sitzfläche : 40 cm
* Sitzfläche : 48-50 x 53-55 cm
* Stuhlbeine : 5 x 5 cm
Die Armlehne
Die kretischen Sessel weisen eine seltene Eigenschaft auf: meistens haben sie nicht zwei Armlehnen, aber normalerweise eine auf der linken Seite und nur selten eine auf der rechten.
Normalerweise haben Sessel zwei Armlehnen. So ist es bemerkenswert, dass solche Sessel hauptsächlich in groβen und reichen Klöstern zu finden sind.
* Das Weglassen der rechten Armlehne erlaubte es dem Sitzenden, mit dem rechten Arm ungehindert die Wasserpfeife zu bedienen, der man häufig neue Kohle nachgeben oder Tabakblätter auflegen musste.
* Eine weitere Erklärung ist, dass der Sitzende wenn nötig leicht zu seinem Schwert oder seiner Pistole auf seiner linken Seite greifen konnte.
* Die dritte Erklärung ist, dass auf diese Weise die weite Pluderhose genug Platz hatte und somit nicht knittrig wurde.
Die zweite Erklärung ist anfechtbar, da es den Kretern während der türkischen Herrschaft untersagt war, Gewehre zu besitzen. Nur in den eigenen vier Wänden bewaffnet zu sein wäre also sinnlos gewesen.
Die erste und dritte Erklärung sind in Kreta des 19. Jahrhunderts eher verständlich.
Die oben angeführten Bemerkungen werden noch verstärkt durch die Tatsache, dass die Klostersessel zwei Armlehnen haben, da die Mönche weder bewaffnet waren noch rauchten….
Die Rückenlehne
Die Rückenlehne besteht aus zwei horizontal verlaufenden Leisten, in seltenen Fällen können es auch drei sein. Nur selten werden zwischen den beiden Leisten gedrechselte Stäbe eingesetzt. Es gibt Möbelstücke mit zwei sich berührenden, geschnitzten Leisten die einen Zahnradeffekt hinterlassen. Es gibt aber auch Stuhllehnen deren Leisten vollständig mit Verzierungen versehen sind.
Im Allgemeinen weisen die Rückenlehnen bei den Sesseln dieselben Voraussetzungen auf wie bei den Stühlen.
Die Sprossen
Normalerweise werden acht Stück gebraucht. Die ersten werden in einer Höhe von 3 bis 6 cm angebracht. In wenigen Fällen wird das Möbel durch zwei seitliche oder vier peripheren Sprossen verstärkt.
Die Sitzfläche
Normalerweise besteht die Sitzfläche aus einer Art von geflochtenem Bast und liegt auf den vier höheren Bolzen auf. Eine Ausnahme war ein Stuhl aus dickem, geschnitztem Holz, der durch seine dem Körper angepasste, wellige Form sehr bequem war.
Verschiedene Arten Von Verzierungen
Die Verzierung des Sessels ist vielfältiger und komplizierter als beim Stuhl, da der Sessel ja einen herrschaftlichen Eindruck verleihen soll.
Sie behält die pyramidenförmige Form bei mit dem symbolischen Adlerkopf am Ende (doppelköpfiger byzantinischer Adler) in verschiedenen Ausführungen, mit der zeremoniellen Raute und Pyramide.
Die Verzierung des oberen Teils der Stuhllehne
Bei den älteren Stühlen mit reicher Verzierung finden wir mit einem abgerundeten Messer angebrachte, schnurförmige Verzierungen, die die Ecken bereichern und ein breites Fingernagelmuster aufweisen. Weiter folgen die gedruckten Margeriten, geritzte geometrische Formen und die einfachen, doppelten oder mehrfachen Rauten.
Die Verzierung der vorderen Stuhlbeine
Sie sind meist einfach, also ohne Verzierung oder Rinnen. In einigen Fällen weist der obere Teil zwischen der Sitzfläche und dem Griff gedrechselte Verzierungen oder rhombische Einschnitte auf, wobei der untere Teil von der Sitzfläche bis zum Boden mit achteckigem Einschnitte verziert wurde.
Das Endstück der Armlehnen (Griff) misst normalerweise 8-10 cm und hat verschiedene Formen:
Umschlungene Spirale, der untere Teil mit Rillen und sehr selten mit einem Drachenkopf, aus dessen Mund eine geballte menschliche Faust hervorschaut. Wir sind uns weder über die Bedeutung dieser Symbolik noch über seine Herkunft im Klaren. Es kann mit dem Zeichen der berühmten italienischen Autos Alpha Romeo verglichen werden. Wir sind davon überzeugt, dass diese Symbolik eine abwehrende Wirkung haben sollte gegen alle auf dem Sessel Sitzenden Feinde. Hier soll noch angeführt werden, dass die Armlehnen meist gerade sind oder auf der Seite eine parallel verlaufende, wellenartige Form aufweisen. Dies erinnert an alte venezianische Möbel.
Die Verzierung der Rückenlehne
Die Rückenlehne besteht zur Regel aus zwei horizontal verlaufenden Leisten, von denen die obere meist breiter ist. Nur selten ist der obere Teil dreieckig oder wellenförmig. Wir treffen häufig auf sich berührende Leisten mit Lochmuster. Die Verzierungen bei den Sesseln die wir in den Klöstern finden sind meist einfach mit Rinnen, dem Herstelldatum, Initialen und eingeritzten Kreuzen an der oberen Leiste. Auch die gedruckten Verzierungen wie Margeriten und eingeritzte geometrische Formen fehlen nicht. Nur selten wurden Rückenlehnen aus einem einzigen breiten Brett hergestellt und mit Schnitzereien verziert.